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Ein Tag aus dem Leben eines Bestatters

Aktualisiert: 5. Juni 2023

An der Wand stehen vier Särge, drei in Weiss und einer ohne Lackierung. Sie sind nur rund 70 Zentimeter lang. Auf einem der Deckel ist ein Teddybär eingeschnitzt. Gleich daneben die sogenannten Engelskörbe in verschiedenen Grössen – von 22 bis 55 Zentimetern. Umringt von ihren erwachsenen Kollegen ruhen sie vorerst im Showroom des Bestattungsinstituts Harfe in Baden-Dättwil.


Hier treffen Leben und Tod aufeinander. Immer wieder entdeckt man die gleichen Formen: Herzen, Rosen, hie und da ein Kreuz. Der Raum ist freundlich und hell eingerichtet. Doch das mulmige Gefühl bleibt: Hier bestimmt der Tod den Tagesablauf. Und mittendrin die Lebensfreude: Berry van Donkelaar. Keine Krawatte, kein schwarzer Anzug und kein weisses Hemd. Der Einsatzleiter steht mit einem gepunkteten Hemd, Jeans und akkurat gestutztem Bart inmitten der Särge.


Morgens weiss der Einsatzleiter und Bestatter Berry van Donkelaar nicht, was ihn heute erwartet. Gab es einen Mord, ist jemand nach langer Erkrankung verstorben oder vor einen Zug gesprungen? Sein Pager gibt nur bedingt Auskunft: «Herr Mustermann, 079 *** ** **, Ehefrau verstorben. Bittet um Rückruf.»


Die Infos sind dürftig, doch van Donkelaar kann daraus einiges lesen und sich auf das Gespräch vorbereiten. Der Rückruf darf nicht lange auf sich warten lassen. Die Angehörigen sind oft schockiert und brauchen Hilfe. «Bei einem Handwerker kann man auf ein Band reden und zwei, drei Stunden auf einen Rückruf warten. Bei uns geht das nicht», sagt der Bestatter. 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr ist das Bestattungsinstitut erreichbar.



Als erstes werden die Angehörigen befragt: Wer, wann und wo? Besonders wichtig sei das Wo. Ein Todesfall in einem Spital eile weniger als in einer Wohnung. War der Arzt schon da? Kremation oder Erdbestattung? Wie gross und schwer ist die Person? Welche Kleidung soll der verstorbenen Person angezogen werden? Aus welchem Holz soll der Sarg sein?


Bei der Befragung müsse man sehr vorsichtig vorgehen. Die vielen Fragen können aufgelöste Angehörige leicht überfordern. Das brauche viel Feingefühl, erklärt van Donkelaar. Er versucht, das Eis zu brechen. Oft werde er beim ersten Treffen gefragt, ob er Holländer sei. «Nein, Niederländer» antworte er dann mit einem Lächeln.


Ein kleines Schmunzeln genüge bereits, um dem Gespräch die Schwere zu nehmen. Der Tod ist etwas Natürliches, der alle ereilt. Wieso soll man nicht auch über eine lustige Anekdote des Grossvaters lachen dürfen? Sterben müsse nicht immer traurig sein, sagt van Donkelaar.


Dieses Feingefühl, der Umgang mit den Menschen macht für van Donkelaar die Faszination für den Beruf aus. Bei einem Todesfall im eigenen Umfeld sei er vom Bestatter sehr beeindruckt gewesen. Das möchte er auch machen, entschied er damals. Seit fünf Jahren arbeitet er mittlerweile auf dem Beruf. Davor hatte er bei seiner Managerstelle ebenfalls viel mit Menschen zu tun, jedoch auf einer anderen emotionalen Ebene.


Wenn verstorbene Personen abgeholt werden, sind meistens zwei Personen unterwegs: der Einsatzleiter und der Bestattungsassistent. Bei verstorbenen Kleinkindern hingegen ist der Einsatzleiter allein vor Ort. «Zwei erwachsene Männer, die ein Baby abholen, ist unbehaglich», sagt der 50-Jährige.


Der Bestatter muss sich ein genaues Bild der Wohnung machen können. Wie gross ist das Treppenhaus, wo liegt die Person? Und auch Gewicht und Grösse des Verstorbenen spielen eine Rolle. Wenn eine Person im Sarg liege, könne dieser nicht mehr senkrecht transportiert werden, erklärt van Donkelaar. Die verstorbene Person würde nach unten sacken. Das ist nicht respektvoll.


Generell wird bei jedem Arbeitsschritt darauf geachtet, die verstorbene Person pietätvoll zu behandeln. Keine ruckartigen Bewegungen und schon gar kein Fallenlassen, als würde man einen Schlafenden transportieren.


Doch dann gibt es jedoch Einsätze, die von vielen Neueinsteigern unterschätzt werden. Nicht jeder verstirbt friedlich im Schlaf. Als Bestatter braucht man einen harten Magen. Der Pager meldet beispielsweise: «Herr Wachtmeister, 062 *** ** **, AGT in Bad-Zurzach.»


So eine Meldung bedeutet selten etwas Gutes. Todesfälle, die keine natürliche Ursache haben, werden als aussergewöhnliche Todesfälle (AGT) bezeichnet. Van Donkelaar muss auch bei Morden, Unfällen und Suiziden ausrücken.


Es sind Einsätze, die an die Nieren gehen. Doch van Donkelaar kann damit umgehen. Bei einem schlimmen Todesfall konzentriere er sich auf seine Arbeit. Details blendet er komplett aus. So bleiben auch keine Bilder hängen. Auch Gerüche können traumatisieren. Doch er sei ein Gefühlsmensch. Viel schlimmer als alle Bilder und Gerüche sei das Gefühl einer Mutter, das Kind aus den Armen zu nehmen.


Zurück im Institut kann der Bestattungswagen direkt in das Gebäude fahren. Hinter verschlossenen Türen kommt der Verstorbene in den Einsargraum. So können ungewollte Blicke verhindert werden.


In der Mitte des weissgekachelten Raumes steht ein grosser Tisch aus Metall. An einem Ende hat er einen Abfluss. Darüber hängt eine Duschbrause sowie eine Schiene für einen Deckenkran. In diesem Raum werden die Verstorbenen gewaschen, angekleidet und in den Sarg gelegt.


Anschliessend kann die verstorbene Person falls gewünscht im Institut aufgebahrt werden. Angehörige können so in aller Ruhe Abschied nehmen. Danach werden die Verstorbenen je nach Vereinbarung kremiert oder in der Erde bestattet. Das Bestattungsinstitut bietet das Rundumpaket an. Dazu gehören auch Dienstleistungen wie Drucksachen, Blumenschmuck, Beratungen und Vorträge.


Aus der Gesellschaft verschwindet zunehmend das Tabu, über den Tod zu sprechen. Immer mehr Leute würden sich laut van Donkelaar bereits vor ihrem Ableben um ihre Bestattung kümmern. Deshalb gehört auch Sterbevorsorge zur Produktpalette. Vor allem ältere Leute möchten ihre Bestattung bereits frühzeitig organisieren und ihre Angehörigen dadurch entlasten.


Im Feierabend kann van Donkelaar komplett abschalten. Er zieht sich jeweils im Bestattungsinstitut um. Sein Bestatter-Anzug bleibt dort. Seine Familie will er nicht mit Details aus seinem Alltag belasten. Eine seiner zwei Töchter, drei Jahre alt, könne bereits mit dem Tod umgehen. Sie wisse, wenn der Pager geht, ist wieder jemand in den Himmel gekommen.


Er würde seinen Job nicht ändern wollen. Denn es sei kein Beruf, sondern eher eine Berufung. Trotzdem kann er das Unbehagen der Leute mit dem Thema verstehen. Deshalb sagt er während der Arbeit zum Abschied nie: «Auf Wiedersehen». Denn er wünsche niemandem, beruflich mit ihm in Kontakt zu kommen.



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