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AutorenbildEsther Zürcher

Die unsichtbare Arbeit des Bestatters – Mut und Menschlichkeit in schwierigen Momenten

Viele Menschen stellen sich den Beruf des Bestatters als leicht verdientes Geld vor. Doch die Realität zeigt, dass dieser Beruf tiefes Verständnis, Mut und Empathie erfordert. In einer Gesellschaft, die den Tod oft tabuisiert, übernehmen Bestatter die schwierige Aufgabe, Verstorbenen Würde zurückzugeben und Hinterbliebenen einen respektvollen Abschied zu ermöglichen. Was passiert jedoch hinter den Kulissen, sowohl physisch als auch psychisch?

 

Nach dem Tod setzen komplexe biochemische Prozesse ein

Direkt nach dem Tod beginnen die Zellen, sich selbst zu zersetzen, da Enzyme aus den Zellorganellen freigesetzt werden. Dieser Prozess der Selbstauflösung (Autolyse) startet zuerst in enzymreichen Organen wie Leber und Bauchspeicheldrüse und führt zu einer Veränderung der Gewebestruktur. Die Verwesung wird durch Bakterien und Mikroorganismen ausgelöst, die Proteine in Ammoniak, Schwefelwasserstoff und andere Gase zerlegen. Diese Gase sind für die oft unangenehmen Gerüche verantwortlich. Studien zeigen, dass die Zusammensetzung der Gase (z. B. Methan und Cadaverin) stark von Umweltfaktoren wie Temperatur und Feuchtigkeit abhängt. Innerhalb von Stunden nach dem Tod beginnt das Blut, sich durch die Schwerkraft in tiefer gelegene Körperregionen zu bewegen, was die typischen rötlichen bis violetten Leichenfleckenverursacht. Gleichzeitig tritt die Totenstarre auf, da das Muskelprotein Myosin ohne Energie in einem starren Zustand verharrt.

Natürlicher Zerfall von Obst
Natürlicher Zerfall von Obst

Eine Besonderheit sind Körper, die länger im Wasser gelegen haben. Bei längerem Kontakt mit Wasser beginnt die sogenannte Adipocire-Bildung (Leichenwachs). Fettgewebe wird in eine wachsartige Substanz umgewandelt, die den Zerfall verlangsamt. Hier sind besondere Kenntnisse und Techniken notwendig, um hygienische Standards zu wahren. Angehörige müssen oft darauf hingewiesen werden, dass eine offene Verabschiedung in solchen Fällen nicht möglich ist. Der Körper ist durch den Wassereinfluss stark aufgedunsen und riecht intensiv. Die Kommunikation mit den Hinterbliebenen erfordert viel Fingerspitzengefühl, um ihnen die Situation verständlich zu erklären.


Die Bergung von Wasserleichen stellt ebenfalls eine besondere Herausforderung dar. Der Einsatz von griffigen Materialien wie Leintüchern oder Frotteetüchern ist unerlässlich, um den Körper überhaupt bergen zu können. Wenn möglich wird die Polizei hierbei hinzugezogen, um den Vorgang zu unterstützen. Nach der Bergung wird die verstorbene Person in eine spezielle Bergungshülle gelegt, die anschliessend verschlossen wird. In der Regel erfolgt danach möglichst zeitnah eine Einbettung in einen Sarg. Schutzanzüge, Gummistiefel und Bergungshüllen gehören bei solchen Einsätzen zur Standardausrüstung, um hygienische Standards einzuhalten und die eigene Kleidung zu schützen.


Die chemischen Prozesse, insbesondere die Zersetzung, machen den Beruf des Bestatters zu einer technischen Herausforderung. Sie erklären auch, warum die Arbeit umfassendes Wissen und passende Hilfsmittel wie Kühlgeräte, Geruchsneutralisatoren und Schutzkleidung erfordert.

 

Zwischen Tabu und Akzeptanz: Wie unsere Psyche den Tod verarbeitet

Psychologisch gesehen spielt die Tabuisierung des Todes eine zentrale Rolle. Nach Erkenntnissen der Thanatologie, der Wissenschaft vom Tod, gibt es mehrere Gründe, warum der Tod in unserer Gesellschaft so verdrängt wird:


Nach der Terror-Management-Theorie (Pyszczynski et al., 1997) führt die Konfrontation mit dem Tod zu Angst, da sie uns an die eigene Sterblichkeit erinnert. Bestatter stehen im Zentrum dieses Spannungsfeldes und müssen täglich mit dieser Angst umgehen – sowohl ihrer eigenen als auch der der Hinterbliebenen.

Angst vor dem Tod
Angst vor dem Tod

Früher war es üblich, dass Familienangehörige die Verstorbenen zuhause selbst wuschen und aufbahrten. Heute wird diese Aufgabe fast vollständig an Bestattungsinstitute delegiert. Dies hat zu einem kulturellen Wandel geführt, in dem der Tod noch mehr aus dem Alltag verdrängt wird.

Studien** zeigen, dass ein würdevoller Abschied essenziell für die Trauerbewältigung ist. Rituale wie die Aufbahrung oder die letzte Sichtung eines Verstorbenen helfen den Hinterbliebenen, den Verlust anzunehmen und das Unfassbare greifbar zu machen. Selbst wenn die Umstände schwierig sind, beispielsweise bei fortgeschrittener Verwesung, zeigt sich, dass Familien solche Abschiede als wichtig und tröstend empfinden.

 

Mut und Menschlichkeit - die Bedeutung der Arbeit der Bestatter

Die Arbeit der Bestatter füllt eine gesellschaftliche Lücke, die durch den zunehmenden Wunsch, den Tod zu verdrängen, entstanden ist. Sie kombinieren technisches Wissen mit Empathie und schaffen einen Raum, in dem Hinterbliebene den Verlust begreifen und verarbeiten können. Mit viel Erfahrung und Fachkompetenz kann man auch Verstorbene in fortgeschrittenem Verwesungszustand ästhetisch aufbereiten. Bestatter versuchen in jedem Fall, diesen Moment so persönlich wie möglich zu gestalten, indem sie zum Beispiel Fotos, persönliche Gegenstände oder Rituale einbinden.

 

Chemie und Empathie – eine seltene Kombination

Die Verbindung aus chemisch-technischen Kenntnissen und psychologischen Fähigkeiten macht den Beruf des Bestatters einzigartig. Sie sind Experten für menschliche Zerfallsprozesse, aber gleichzeitig auch emotionale Stützen für Trauernde. Diese Dualität erfordert nicht nur Mut, sondern auch tiefes Verständnis für die Bedürfnisse der Hinterbliebenen.

Die meist unsichtbare Arbeit von Bestattern ist von unschätzbarem Wert. Sie zeigt, dass hinter jedem würdevollen Abschied ein enormes Mass an Fachkenntnis, Mut und Menschlichkeit steckt. Es wäre schön, wenn der Beruf des Bestatters mit mehr Respekt betrachtet wird, da er eine zentrale Rolle für eine menschliche Gesellschaft spielt. Denn der letzte Abschied ist nicht nur ein Moment der Trauer, sondern auch ein Akt des Respekts und der Liebe.

 

** Quellen:

  • Stroebe, M., & Schut, H. (1999). The Dual Process Model of Coping with Bereavement: Rationale and Description. Death Studies, 23(3), 197-224.

  • Neimeyer, R. A. (2000). Meaning Reconstruction in the Wake of Loss: Evolution of a Research Program. Behaviour Change, 17(2), 76-83.

  • Turner, V., & van Gennep, A. (1960). The Rites of Passage. University of Chicago Press.

  • Attig, T. (1996). How We Grieve: Relearning the World. Oxford University Press.

  • Bonanno, G. A. (2009). The Other Side of Sadness: What the New Science of Bereavement Tells Us About Life After Loss. Basic Books.

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